Im April veröffentlichte das britische Marktforschungsunternehmen Him! eine Umfrage, der zufolge viele Supermarktkunden überhaupt keine Lust auf Selbstbedienungskassen (“Self-Checkout”) haben. Das Selbst-Scannen der Artikel spare kaum Zeit, ständig würde der sprechende Apparat Fehlermeldungen ausspucken und angenehmer werde das Einkaufen dadurch auch nicht.
Vier Monate später veröffentlichte das britische Fachmagazin “The Grocer” eine Umfrage, der zufolge viele Kunden Selbstbedienungskassen ganz großartig finden. Durch das Selbst-Scannen der Produkte gehe der Einkauf viel schneller, das Rumstehen in Kassenschlangen könne vermieden werden und an die Bedienung gewöhne man sich mit der Zeit ganz gut.
Vielleicht fragen wir besser noch mal jemanden, der sich von Berufswegen mit dem Thema auskennt.
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“Mit Self-Checkout-Kassen geht das Bezahlen schneller”, sagt Stefan Clemens, und das muss er ja auch, schließlich arbeitet Clemens beim Kassenhersteller NCR als Area Industry Leader Retail & Hospitality. (Warten Sie nur, es wird gleich noch lustiger mit den englischen Fachbezeichnungen.) Geht aber weiter, das Zitat:
“Unseren Erfahrungen zufolge ist das aber gar nicht immer das entscheidende Argument. Ältere Kunden nutzen die Self-Checkouts zum Beispiel wegen des exakten Gegenteils: weil sie dort ihr Tempo selbst bestimmen können, nicht gehetzt werden und während des Bezahlens nicht hastig die Waren zurück in den Einkaufswagen sortieren müssen. Es geht also gar nicht immer nur um die schnellstmögliche Geschwindigkeit, sondern den subjektiv empfunden Komfort und Service.”
NCR gehört zu den größten Herstellern solcher Kassensysteme. (Und einem Haufen anderer Technik, die uns ständig im Alltag begegnet, vom Geldautomaten bis zum Check-In-Terminal am Flughafen.) Die Geräte stehen unter anderem in den italienischen Märkten der Supermarktkette Auchan, denen von Dansk Supermarked in Dänemark und in österreichischen Filialen von Spar, zum Beispiel am Salzburger Hauptbahnhof (Foto).
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In Deutschland testet Rewe die Schnellkassen in München und einem Hamburger Toom-Markt; Edeka lässt seine Kunden in Elmshorn bei Hamburg ebenfalls selbst abkassieren. (Und Real schon seit längerem mit Geräten unterschiedlicher Hersteller.) Flächendeckend hat sich die Kassenalternative in Deutschland aber noch nicht durchgesetzt.
Die Briten sind – wie so oft – schon einen Schritt weiter.
Die zum weltweit größten Einzelhändler Walmart gehörende Kette Asda testet seit diesem Jahr in ihren Superstores eine NCR-Neuentwicklung, die offiziell “SelfServ Checkout Convertible” heißt und Supermarktblog-Lesern als Transformers-Kasse bekannt ist. Weil sich das Gerät nämlich mit ein paar Handgriffen von der klassischen Mitarbeiterbedienung zur Selbstbedienung umbauen lässt. Wenn im Markt gerade die Hölle los ist, weil viele Kunden auf einmal bezahlen wollen, werden sämtliche Kassen mit Mitarbeitern besetzt. Ist weniger Betrieb, zum Beispiel am späteren Abend, wird die Transformers-Kasse zum SB-Gerät. Asda kann seiner Kundschaft sagen: Wir haben immer alle unsere Kassen für euch offen. Und die Mitarbeiter, die gerade nicht kassieren, kümmern sich stattdessen ums Regaleinräumen oder die Kundenberatung.
Selbstverständlich ist die Umrüstung aus Sicht der Händler auch eine gute Möglichkeit, um Personalkosten zu sparen. (Ob SB-Kassen tatsächlich dazu führen, dass Mitarbeiter entlassen werden, ist schwer zu sagen; die Supermärkte erklären in der Regel, dass sie ihre Angestellten einfach an anderer Stelle im Markt einsetzen. Wissen Sie’s besser? Dann kommentieren Sie doch unter diesem Eintrag.)
Bevor der erste Kunde seinen Einkauf über den Scanner einer SB-Kasse ziehen kann, wird in den Märkten ein ziemlicher Aufwand getrieben, um rauszukriegen, an welcher Stelle die Geräte am besten stehen. Sie sagen jetzt wahrscheinlich: am Ende, sonst wär’s ein bisschen unpraktisch. Stimmt auch. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Hanno Kallmeyer kümmert sich als Solution Sales Specialist EMEA bei NCR um die so genannten “Store-Analysen” und erklärt:
“Ziel ist es, zu verstehen, wie die Läden des Händlers funktionieren. In manchen Märkten werden die Kassen viel dynamischer besetzt als in anderen, und es gibt oft – je nach Lage des Markts – auch ganz unterschiedliche Stoßzeiten.”
In einem Innenstadt-Supermarkt geht’s wahrscheinlich in der Mittagspause hoch her, wenn die kantinengeschädigten Angestellten aus den umliegenden Büros nach Salat-Alternativen lechzend in den Laden drängen. In der Filiale auf dem Land hält sich der Andrang zur gleichen Zeit vielleicht in Grenzen. Solche Spitzenzeiten sind für Supermärkte am schwersten zu bewältigen, weil es wenig praktikabel ist, Kassierer nur für zwei Stunden am Tag anzustellen – und das zufällig immer dann, wenn gerade der Laden brummt. Kallmeyer sagt:
“Wir schauen uns die für einen Markt typischen Daten an: Wie viele Artikel werden zu welchem Zeitpunkt verkauft? An welchen Kassen kamen wie viele Kunden durch? Wie groß waren deren Einkäufe? Wo ist also das größte Potenzial für diese Geräte? Ein perfekter Platz für die Selbstbedienungskassen ist dort, wo im Markt typischerweise viele Kunden mit wenigen Waren im Kassenbereich ankommen.”
Weil Kunden, die bloß ein Sandwich und eine Cola kaufen, naturgemäß noch ungeduldiger in der Schlange stehen als jemand, der sich den Wagen mit dem kompletten Wocheneinkauf vollgepackt hat (und dann bestimmt keine Lust, das alles alleine abzukassieren).
NCR geht davon aus, dass sich die SB-Kassen ab einer Nutzungsrate von 25 Prozent lohnen, wenn also ein Viertel der Einkäufe per Selbstbedienung abgewickelt wird. Fernziel ist eine Nutzungsrate von ungefähr 50 Prozent. Ein kompletter Ersatz der klassischen Bedienkassen ist für die Supermärkte tabu, um keine Kunden zu verprellen, die sich partout nicht mit der neuen Technik anfreunden wollen. (Oder ungern von fremden Automatikkassenstimmen angequatscht werden.)
Warum gibt’s dann nicht schon mehr SB-Kassen in deutschen Supermärkten?
Naja, so eine Umrüstung ist natürlich kein Schnäppchen. Außerdem muss meistens die komplette Kassenzone umgebaut werden, bei neuen Märkten lassen sich die Geräte von vornherein viel besser integrieren. Und wenn sie dann erstmal dastehen, sich aber weder Mitarbeiter noch Kunden an die redseligen Maschinen trauen, ist’s kein Wunder, wenn sie Spinnweben ansetzen. Der größte Fehler sei es, die SB-Kassen als “rein technisches Projekt” zu betreiben, sagt Kallmeyer.
“Genauso wichtig wie eine funktionierende Technik ist es, dass die Kunden das System verstehen – und der Schlüssel dazu sind Mitarbeiter, die Lust haben, mit den Leuten zu kommunizieren und ihnen zu erklären, wie die neuen Kassen funktionieren.”
Dafür gibt’s Schulungen und Trainings. Der erfolgreiche Kasseneinbau ist also eine Wissenschaft für sich.
Vielleicht stimmt Sie das ja ein wenig milder, wenn Sie das nächste Mal im Supermarkt unsanft ermahnt werden, dass der selbst gescannte Artikel nicht ordentlich in die Tüte auf der Sicherheitswaage geräumt wurde. So eine SB-Kasse hat eben auch einen stressigen Arbeitstag.
Foto: NCR